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Architekturgeschichte mit digitalen Zwillingen bewahren

Der brasilianische Architekt Fábio Rakauskas erklärt, wie er mit digitalen Zwillingen Architektur- und Stadtgeschichte für die Zukunft bewahrt.

Stadion in Vila Baeta Neves.

Stadion in Vila Baeta Neves. 

3D ist die Baumethode der Zukunft, aber sie kann auch bei historischen Projekten helfen: Der brasilianische Architekt Fábio Rakauskas bewahrt alte Architektur und bringt sie mit Hilfe digitaler Zwillinge in die moderne Welt. Das hat er bereits für 14 historische Gebäude in seiner Heimatstadt São Bernardo do Campo gemacht. Damit bewahrt er die Geschichte der modernistischen Bewegung der 1960er Jahre, schafft für die heutigen Bewohner:innen der in der Nähe von São Paulo liegenden Stadt eine Verbindung zur ihrer Vergangenheit und zeichnet die stetige Weiterentwicklung der Gebäude auf. In einem Gespräch mit Fábio Rakauskas erfahren wir, wie sein Herzensprojekt Geschichte wieder lebendig macht. 

Können Sie uns erklären, was Historic Building Information Modeling (HBIM) ist?

Gebäude können helfen, die Geschichte einer Stadt und ihres kulturellen Erbes zu erzählen. Um Geschichte lebendig zu halten, ist es wichtig, historische Strukturen zu erhalten und neu zu entdecken. Das machen wir mit HBIM.

Bekannter ist das Building Information Modeling (BIM). Das umfasst den gesamten Bauprozess von den ersten Machbarkeitsstudien bis hin zum Bestandsmanagement. HBIM funktioniert umgekehrt: Das Gebäude gibt es schon, aber es fehlt üblicherweise die Dokumentation. Um das Gebäude zu erhalten und zu verwalten, müssen wir sie nachträglich digital erstellen. 

Damit die Informationen korrekt sind, muss man gründlich sein und darauf achten, dass man das ursprüngliche Wesen des Gebäudes erfasst. Als Endprodukt haben wir dann ein 3D-Modell mit Daten – einen digitalen Zwilling, der als Grundlage für zukünftige Entscheidungen und Renovierungen dient.

Details des Stadions in Vila Baeta Neves.
Details des Stadions in Vila Baeta Neves.

Weitere Details des Stadions in Vila Baeta Neves (mit dem Pfeil nach rechts weitere Bilder anzeigen).

Der HBIM-Prozess muss ziemlich herausfordernd sein. Wie sah Ihre berufliche Laufbahn bislang aus und was hat dazu geführt, dass Sie an Projekten für São Bernardo do Campo arbeiten? 

Ich habe an städtischen Projekten wie dem Rathaus von São Bernardo do Campo gearbeitet und gehörte zum Gremium für das historische und kulturelle Erbe, in dessen Rahmen ich mich mit der Geschichte der Stadtentwicklung vertraut gemacht habe.

São Bernardo do Campo besitzt historisch wertvolle Gebäude aus der Zeit des Modernismus der 1960er und 1970er Jahre. Viele dieser Strukturen, auch solche von berühmten Architekten wie Paulo Mendes da Rocha, wurden im Laufe der Zeit vergessen. 

Als die Gemeinde dann kürzlich einen öffentlichen Aufruf startete, um im Rahmen des Aldir-Blanc-Gesetzes Kultur zu fördern, hatte ich die Gelegenheit, an einem fantastischen Projekt mitzuarbeiten: Mit Hilfe digitaler Zwillinge sollten die erwähnten modernistischen Gebäude in São Bernardo do Campo nachgebildet werden. 

Dabei ging es vor allem um drei Ziele:

  1. Ein Inventar der 14 modernistischen Gebäude erstellen
  2. Eine öffentliche Ausstellung der digitalen Zwillinge in der Pinacoteca de São Bernardo einrichten
  3. Modelle für die zukünftige Verwendung mit Tools wie 3D Warehouse von SketchUp veröffentlichen
Schulgebäude in Vila Brasilia.
Schulgebäude in Vila Brasilia.
Schulgebäude in Vila Brasilia.
Schulgebäude in Vila Brasilia.
Schulgebäude in Vila Brasilia.
Schulgebäude in Vila Brasilia.

Weitere Details des Schulgebäudes in Vila Brasilia (mit dem Pfeil nach rechts weitere Bilder anzeigen).

Warum haben Sie sich dazu entschieden, die digitalen Zwillinge mit SketchUp zu erstellen?

Aus mehreren Gründen habe ich mich für SketchUp entschieden:

  • Effizienz: Ich hatte nicht viel Zeit, um ganz allein 14 Gebäude zu modellieren.
  • Flexibilität: Ich kann meine Modelle ohne Beschränkungen überarbeiten, wenn ich kaum Referenzen zur Verfügung habe (für einige der Gebäude gab es keine Originaldokumentation).
  • Interoperabilität mit CAD-Dateien und Bildern: Ich musste als Referenz für den Volumetrieentwurf mehrere Bilder und DWG-Dateien mit Grundrissen, Schnitten, Aufrissen und Topografien importieren.

SketchUp habe ich in einer der Architekturfirmen kennengelernt, in der ich gearbeitet habe. Und seitdem benutze ich es. SketchUp ist einfach so flexibel. Andere Programme versuchen, ähnlich flexibel zu sein, was Extrudieren, Erstellen und Überarbeiten angeht, aber sie sind einfach nicht so gut. 

Zusammen mit SketchUp nutze ich Trimble Connect, sodass man sich die Modelle ganz einfach auf Mobilgeräten, Desktopcomputern und Augmented-Reality-Geräten ansehen kann. Ich kann das Projekt in 3D kommunizieren und es den Stakeholdern zeigen.

Was können Sie uns über das Projekt selbst erzählen? 

Um die 14 Gebäude digital nachzubauen, brauchten wir zuerst Informationen. Allgemein erfolgt so eine Datenerfassung über Laserscans und Fotogrammetrie, eigentlich zwei sehr gute Methoden, um Gebäude digital nachzubilden. Aber für unser Projekt hatten wir diese Technologien nicht verfügbar. Stattdessen nutzten wir bestehende Dokumentation (alte Papierzeichnungen oder schon gescannte Grundrisse, Schnitte und Aufrisse). Außerdem fuhren wir direkt hin, um Veränderungen, die seit der ersten Dokumentation stattgefunden hatten, manuell zu ergänzen.

Dokumentation des Schulgebäudes in Vila Brasilia.

Schulgebäude in Vila Brasilia.

Die Projektphasen und ihre Herausforderungen

Was die Projektphasen angeht, kann ich das an einem besonders symbolischen Gebäude zeigen, dem Stadtpalast (Paço Municipal) und Gemeindezentrum von São Bernardo.

SketchUp-Modell des Stadtpalasts und Gemeindezentrums von São Bernardo.

SketchUp-Modell des Stadtpalasts und Gemeindezentrums von São Bernardo.

Phase 1: Datenerfassung und Modellierung der Originalvolumetrie

Historisches Foto des Stadtpalasts und Gemeindezentrums von São Bernardo.

Die Modellierung der Volumetrie war eine Herausforderung: Es gab nur für einige der Gebäude 2D-Originaldokumentation – und für kein einziges gab es 3D-Modelle. Bildquelle: São Bernardo do Campo City Hall, Culture Office, Memory Center, 2020.

Ich zog mehrere Ressourcen, unter anderem Google Maps, historische Fotos und Zeitungsartikel, zu Rate, um den Originalbau so getreu wie möglich nachzumodellieren. Ich wollte die damaligen Bedingungen verstehen. Dann importierte ich das kartografische Ortsregister in SketchUp und erstellte ein Bauformmodell der Umgebung.

„Mit der Funktion ‚Mit Foto abgleichen‘ von SketchUp konnte ich Bilder über das Modell legen und sehen, ob die Geometrie, die ich aus der 2D-Originaldokumention erstellt hatte, mit dem aktuellen Zustand des Gebäudes übereinstimmt. Damit konnte ich spätere Renovierungen erkennen, die nicht dokumentiert worden waren.“

Phase 2: Modell-Organisation

SketchUp-Oberfläche mit Modell-Organisation, Tags und Hierarchie.

Es gab ja insgesamt 14 Gebäude, sodass ich ein System entwickeln wollte, um die Projekte organisiert und an derselben Tag- und Hierarchiestruktur ausgerichtet zu wissen. 

Was den Stadtpalast angeht, begann ich die Modellierung auf Grundlage einer alten DWG-Datei mit ein paar Layern und Höhenlinien, die ich für den aktuellen Zustand hatte. Mit SketchUp-Tags konnte ich das Modell nach Abteilungen und Etagen organisieren, mit Beschriftungen für Mauerwerk, Struktur usw. Ich hielt mich an die Layer-Richtlinien unserer Architekturvereinigung Associação Brasileira do Escritórios de Arquitetura (AsBEA), um sicherzustellen, dass das Modell problemlos mit Querverweisen für andere Datenbanken versehen werden konnte.

„In LayOut erstellte ich große A0-Bögen mit allen Details der Gebäude. Es war das erste Mal, dass ich mit LayOut gearbeitet habe, und ich war begeistert – insbesondere weil man das Modell aktualisieren kann und diese Veränderungen dann direkt in den LayOut-Dokumenten sieht.“

Phase 3: Einarbeitung von Informationen in das 3D-Modell

SketchUp-Oberfläche mit Organisationselementen für Gruppen und Komponenten mit entsprechenden Informationen.

Alle SketchUp-Projekte habe ich mit Gruppen und Komponenten organisiert, die mit den entsprechenden Informationen gefüllt wurden.

Ich konnte externe Ressourcen verknüpfen und wichtige Informationen in die Komponenteneigenschaften integrieren: 

  • Links zu der gesamten 2D-Originaldokumentation 
  • Informationen zu Materialien, Farben, Texturen, Betonarten und anderen Baudetails
  • Links zu der gesamten Dokumentation zu Rampen, Treppen und Strukturelementen
  • Daten über die Architekt:innen und andere AEC-Profis, die an den jeweiligen Projekten gearbeitet haben
  • Links zu Bildern und Berichten über wichtige Ereignisse in der Geschichte des Gebäudes

Bei Anzeige der Projekte in Trimble Connect ist es ganz einfach, die Links in den Objekten zu nutzen, um auf die geschichtlichen Informationen und die aktuelle Dokumentation zuzugreifen.

Phase 4: Bestandsunterlagen und Umgebung

SketchUp-Modell des Stadtpalasts mit historischen Renovierungen.

Im Laufe der Jahre wurde der Stadtpalast mehrfach renoviert: Es wurden ein Turm für die obligatorische Feuerleiter sowie mehrere Anbauten angefügt, andere wurden abgerissen, und die ursprüngliche Landschaftsgestaltung wurde in eine Wasserfläche umgewandelt.

Der anfängliche Zweck meines Projekts war es, die Gebäude wieder in ihrem Urzustand zu zeigen. Ich habe aber auch die Aktualisierungen modelliert, die im Laufe der Zeit dazu kamen. Mit der Gliederung in SketchUp konnte ich das Originalmodell und die Neuerungen gut in Kategorien einteilen, sodass man das Original und den aktuellen Zustand vergleichen kann. Der digitale Zwilling des Stadtpalast enthält jetzt auch die Umgebung, damit man das Gebäude in seinem Kontext sehen kann.

Phase 5: Abschließende Ausstellung 

Stadtpalast und Gemeindezentrum von São Bernardo.
SketchUp-Schnittzeichnung des Stadtpalasts und Gemeindezentrums von São Bernardo.
SketchUp-Schnittperspektive des Stadtpalasts und Gemeindezentrums von São Bernardo.
SketchUp-Schnittperspektive des Stadtpalasts und Gemeindezentrums von São Bernardo.

In der letzten Phase des Projekts organisierten wir eine Ausstellung in der Pinacoteca de São Bernardo do Campo, um die echte und die digitale Welt zusammenzuführen (mit dem Pfeil nach rechts weitere Bilder anzeigen).

Mein Team druckte die SketchUp-Modelle in 3D aus, um physische Nachbildungen der Gebäude zu erstellen. Über QR-Codes konnten die Besucher:innen sich die Modelle dann auch in Augmented Reality ansehen oder über Trimble Connect auf die historischen Informationen zugreifen, die wir den Modellen zugeordnet hatten. 

Viele, die in der Stadt leben, fanden es spannend zu erfahren, dass diese Gebäude von renommierten Architekt:innen entworfen worden waren.

Können wir uns die digitalen Zwillinge ansehen?

Ja, derzeit ist das Projekt in einer virtuellen Ausstellung zu sehen. SketchUp-Benutzer:innen finden die Modelle auch in 3D Warehouse.

Wie helfen die digitalen Zwillinge bei zukünftigen Entscheidungen? 

Allein auf Grundlage der 2D-Dokumentation werden oft Entscheidungen getroffen, die dem historischen Ursprung der Gebäude nicht gerecht werden. Außerdem sitzen im Stadtrat von São Bernardo do Campo natürlich auch nicht nur Personen, die sich allein anhand der 2D-Zeichnungen vorstellen können, wie das Gebäude in echt aussieht.

3D-Modelle sind einfacher zu verstehen. Jetzt haben sie über Trimble Connect Zugriff auf die digitalen Zwillinge der 14 historischen Gebäude. Wenn sie verstehen, welche Möglichkeiten es für Renovierungen gibt, aber auch, wie diese sich auf die Gebäude auswirken, können sie im Stadtrat informiertere Entscheidungen treffen.

Die Modelle sollten immer aktualisiert werden, sobald die Gebäude wieder renoviert werden, damit die digitalen Zwillinge stets dem aktuellen Zustand entsprechen.

Welche großen Pläne haben Sie nach Abschluss dieses Projekts? 

SketchUp hat mich schon immer begeistert, und es macht mir Spaß, diese Begeisterung weiterzugeben. Ich entwickle gerade einen Kurs für Architekturstudierende und Berufsanfänger:innen, in dem ich Wissen über BIM vermittle. Üblicherweise lernen sie, dass sie mit 2D anfangen und dann zu 3D wechseln sollen. Ich sage ihnen: Fangt mit 3D an. Und dafür ist SketchUp einfach perfekt. Architektur ist eine visuelle Tätigkeit, und in 3D versteht man das Projekt schon in den ersten Phasen besser und kann so auch fundierte Entscheidungen treffen.

Feuerwache und Polizei in São Bernardo
Feuerwache und Polizei in São Bernardo
Feuerwache und Polizei in São Bernardo
Feuerwache und Polizei in São Bernardo

(mit dem Pfeil nach rechts weitere Bilder anzeigen).

Zum Abschluss dieses interessanten Gesprächs haben wir noch ein paar ganz kurze Fragen.

Können Sie SketchUp in einem Wort beschreiben? 

Flexibel.

Was sollten alle Benutzer:innen von SketchUp wissen?  

Arbeitet mit Gruppen, Komponenten und allgemein mit der Modellhierarchie. Die Organisation und Struktur des Modells sind ganz wesentlich für einen optimierten Arbeitsablauf.

Welchen Ratschlag würden Sie anderen Architekt:innen geben? 

Schauen Sie über den Tellerrand und halten Sie nicht an veralteten Regeln fest. Fragen Sie sich zum Beispiel, ob Sie wirklich mit Blaupausen anfangen sollten. Wir brauchen einen ganzheitlichen Blick, und 3D ist die Grundlage. 

Jungen Menschen, die gerade in der Branche anfangen, würde ich sagen: Arbeitet mit Daten und Automatisierung. Damit spart ihr jede Menge Zeit.

Sind auch Sie bereit, Ihrer Begeisterung für 3D-Modelle zu folgen? Abonnieren Sie SketchUp oder lernen Sie es mit einer kostenlosen Testversion kennen.

Foto von Fábio Rakauskas

Über Fábio Rakauskas

Fábio Rakauskas kommt aus Brasilien und begeistert sich für Architektur und Lehre. Er arbeitet seit 2007 in den Bereichen Bauplanung für Unternehmen, Stadtplanung und Machbarkeitsstudien für den Wohnungsbau. Fábio Rakauskas hat einen Master in Architektur, BIM-Management und Stadtforschung und ist als Dozent für Architektur und Stadtforschung tätig. Sein aktuelles Projekt ist die Entwicklung eines Kurses für Berufsanfänger:innen. Folgen Sie Fábio Rakauskas auf Instagram.