Scion Innovation Hub – wie in Neuseeland ein außergewöhnliches Gebäude aus Holz entstand
Kreativität und Pragmatismus. Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung. Grenzen verschieben und herausfinden, was man alles aus Holz machen kann – all das spielte eine Rolle bei der Gestaltung des heute weltbekannten Scion Innovation Hub.
Scion Innovation Hub. Bildquelle: RTA Studio.
Um ein wirklich beispielhaftes Gebäude der Zukunft zu schaffen, müssen alle Faktoren stimmen. Man braucht ein kreatives Designteam, innovative Technologien, einen aufgeschlossenen Kunden und den richtigen kulturellen und ökologischen Kontext.
Der Scion Innovation Hub vereint all diese magischen Elemente in sich. Er ist bislang einzigartig in Neuseeland – ein völlig ohne Stahl erbautes Holzgebäude dieser Größe, in dem das Waldforschungsinstitut Scion untergebracht ist. Sowohl die Holzstruktur selbst als auch die nachhaltigen Strategien, die die Entwickler:innen für den Bau dieses preisgekrönten Gebäudes einsetzten, verkörpern eine kreative und gleichzeitig pragmatische Antwort auf die Frage: Wie können wir durch innovative Gebäudeentwürfe etwas gegen die Klimakrise tun?
Entwürfe mit Fokus auf Transparenz
Das Architekturbüro RTA Studio sitzt im neuseeländischen Auckland und tat sich mit Irving Smith Architects zusammen, um die Hauptniederlassung von Scion in Rotorua zu bauen. Scion ist ein staatliches Institut (Crown Research Institute), das sich auf die wissenschaftliche Erforschung und die technologische Entwicklung in den Bereichen Forstwirtschaft, Holzproduktion, Materialien auf Holzbasis und anderes Biomaterial spezialisiert hat. RTA Studio interessiert sich wiederum für das Bauen mit Brettsperrholz, das derzeit als besonders umweltfreundliches Material in aller Munde ist, insbesondere weil die Warnungen vor der weltweiten Klimakrise immer lauter werden. Rich Naish ist Design Director bei RTA Studio und leitender Bauplaner für das Scion-Projekt. Er erzählt uns, wie er den veralteten Scion-Campus modernisieren und ins 21. Jahrhundert bringen wollte.
Der bisherige Forschungscampus wirkte wie aus der Zeit gefallen – wie direkt aus den 1960er Jahren. Und man verlief sich ständig, weil die Labore kreuz und quer verteilt waren. Das führte auch dazu, dass die Zusammenarbeit litt und die Abteilungen nicht miteinander kommunizierten. Scion wünschte sich einen neuen, modernen Arbeitsort, um die Forschung zu fördern, die Interaktion zwischen den Mitarbeitenden zu stärken und der Öffentlichkeit zu zeigen, woran sie arbeiten. Eine Einrichtung, die für die neuseeländische Öffentlichkeit forscht, will auch ganz transparent zeigen, wie das vor sich geht.
Um Scion allgemein bekannter zu machen, entwickelten Rich Naish und sein Architekturteam einen Masterplan, mit dem der Haupteingang an das andere Ende des Standorts versetzt wurde, gleich neben den Eingang zum Whakarewarewa Forest Park, einem bei Wanderbegeisterten sehr beliebten Landschaftsschutzgebiet. Denn wenn die Parkbesucher:innen nach ihrer Wanderung eine Pause im Café einlegen oder im Eingangsbereich herumspazieren, haben sie das Gebäude von Scion direkt vor ihrer Nase.
Geländeplan der Scion-Hauptniederlassung in Rotorua. Bildquelle: RTA Studio.
Das Ziel des Kunden, mehr Sichtbarkeit für die Öffentlichkeit zu schaffen, wurde nicht nur bei der Ausrichtung des Gebäudes berücksichtigt, sondern auch beim Layout. Das Entwurfsteam schuf ein wunderschönes, zentrales Atrium, in dem die Besucher:innen gleich im Erdgeschoss des Gebäudes begrüßt werden. Ein Kaleidoskop aus Farben und die sich wiederholenden Muster der Holzbalken bringen die Menschen dazu, nach oben zu schauen und die Strukturen zu bewundern, ganz so, wie sie es vielleicht auch in einem Wald tun würden.
Das Gebäude ist außerdem so gestaltet, dass neugierige Besuchende sich die Arbeitsplätze der Wissenschaftler:innen anschauen können. Von Käsefabriken oder Brauereien kennt man es bereits, die Menschen dort bei der Arbeit beobachten zu können, aber in Waldforschungslaboren ist das noch nicht so häufig der Fall. Das offene Layout führt zudem zu leichter planbaren oder auch zufälligen Begegnungen zwischen den Wissenschaftler:innen selbst. Ein Gebäude, das die Zusammenarbeit und den Austausch mit der Öffentlichkeit fördert – ein perfektes Beispiel dafür, wie sich eine durchdachte Bauplanung positiv auf das Verhalten der Menschen auswirken kann.
Atrium des Scion-Gebäudes, Blick von oben. Bildquelle: RTA Studio.
Kontextuelles Entwerfen
Scion und das Designteam arbeiteten mit dem lokalen Maori-Stamm zusammen, um dessen kulturelle Werte zu berücksichtigen: Für die Maori ist der Wald ein heiliger Ort, der ihnen Schutz bietet. Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind die Grünschattierungen in der Glashülle der Struktur, die an das Grün eines Blätterdachs denken lassen. Nicht nur setzt Scion sich in seinem neuen Gebäude gegen den Klimawandel ein – es ist zudem so gestaltet, dass es sich seine Umgebung möglichst wenig beeinträchtigt und somit den Wald, der für die Maori vor Ort eine solch wichtige Rolle spielt, schützt und in den Mittelpunkt stellt. Es fügt sich harmonisch in seinen Kontext ein.
„Wir denken oft, dass Architektur wie die Natur ist. Ein Baum versucht eigentlich nur, seine Blätter vom Boden fern zu halten, aber je mehr er wächst, desto schöner wird er. Wenn man in das Atrium kommt, das sich über drei Stockwerke nach oben erstreckt, sieht man, wie die Holzbalken die Struktur stützen, ganz wie die Äste eines Baumes.“
Rich Naish, Design Director bei RTA Studio
Die Farben des Glases imitieren den Wald, der das Gebäude umgibt. Bildquelle: RTA Studio.
Komplett mit Holz bauen – geht das überhaupt?
Ein gesamtes Gebäude dieser Größe nur aus Holz – das war in Neuseeland bislang noch nicht versucht worden. Und als das Designteam mit der Idee zu seinem Ingenieur Alistair Cattanach kam, meinte der erst einmal, das sei nicht möglich. Aber der Gedanke ließ ihn nicht mehr los, und eine Woche später hatte er die Lösung: Man müsste das Holz so verbinden, wie man es auch bei Möbeln machte, nur eben in einem viel größeren Maßstab. Zwei der Holzbalken würden mit sechs bis acht 100-mm-Keilzinkungen verlängert und miteinander verleimt werden. Diese Verbindung ist so stark, dass aus zwei getrennten Holzstreben ein gemeinsames Strukturelement wird. Als Cattanach einmal sicher war, dass es funktionieren würde, stand dieser revolutionären Bautechnik nichts mehr im Wege.
Modelle für die Keilverzinkung sowie das Gebäude im Bau. Bildquelle: RTA Studio. Mit den Pfeilen nach links und rechts navigieren.
Das Team befürchtete negative Reaktionen von den Stakeholdern: Reicht Holz als Material für ein so großes Gebäude wirklich aus? Als Referenz konnten sie schließlich nur kleine Einfamilienhäuser anführen. Doch zum Glück stellte sich heraus, dass die Scion-Stakeholder allesamt Holzfans sind – und Wissenschaftler:innen, die verstehen, was Holz alles kann. Sie wussten, dass eine innovative Lösung notwendig war, um zu zeigen, dass eine Struktur rein aus Holz der Weg in die Zukunft war. Ein Weg, den sie auf statisch sichere Weise gehen konnten.
„Normalerweise würden in Gebäuden aus Brettsperrholz, insbesondere in Hybridgebäuden, auf den oberen Etagen Betonböden gegossen. Die führen aber zu viel Gewicht oberhalb des Bodenniveaus, was statisch schwierig ist. Bei Scion bestehen alle Böden in den Obergeschossen aus Brettsperrholz. Dadurch sind sie leicht und können durch die Diagonalgitterstruktur gesichert werden.“
Rich Naish, Design Director bei RTA Studio
Elegant und dennoch kostengünstig
Dank der Leichtigkeit der Holzstruktur und der sich wiederholenden Designelemente war der Entwurf schnell fertig, und auch die Baukosten verringerten sich. Für den Großteil der Holzstruktur gibt es lediglich sechs unterschiedliche Komponenten. Als Formen treten vertikal durchgeschnittene und dann halbierte Rauten, eine horizontal durchgeschnittene Raute und Eckstücke auf. Jede zusätzliche Komponente kann die Kosten eines Gebäudes in die Höhe treiben. Nur sechs davon zu nutzen, ist für die meisten Bauplaner:innen ein neues Konzept.
Das Puzzledesign und die im Vorhinein definierten, einfachen Formen verringern auch einen Teil des Abfalls, der ansonsten bei Herstellung und Bau auftritt. Das wiederum ermöglichte eine bessere Kostenschätzung, da keine Modifikationen oder zusätzlichen Ausgaben berücksichtigt werden mussten.
Die sich wiederholenden Holzelemente sind das Grundelement der Gebäudestruktur. Bildquelle: RTA Studio.
Anpassungsfähige Modellierungsabläufe
Das Team nutzte SketchUp vom ersten Konzeptentwurf an und während der ganzen ersten Entwurfsphase. Die geometrischen Modellierungsfunktionen der 3D-Software passten ideal zu den sich wiederholenden Holzkomponenten. Der Entwurf ließ sich rasch immer wieder überarbeiten.
„Wir nutzen SketchUp, weil es schnell und einfach ist. Wir arbeiten mit Gruppen und Komponenten, sodass man eine geänderte Komponente ganz einfach auf den Rest des Entwurfs übertragen kann.“
Rich Naish, Design Director bei RTA Studio
Die Bauplaner:innen zeigten das Modell dem Kunden und anderen beratend Tätigen, wie dem Ingenieurteam. Als das Projekt Form annahm, nutzen Rich Naish und sein Team auch Revit, um den Arbeitsablauf in SketchUp zu ergänzen. Aber das SketchUp-Modell musste immer auf dem aktuellen Stand bleiben, um den Stakeholdern die Meilensteine des Projekts zu zeigen: Revit-Modelle enthalten zwar all die wichtigen Details, aber mit SketchUp ist es einfacher, den Entwurf zu überarbeiten und überzeugende Präsentationen zu erstellen.
SketchUp-Rendering des Scion-Gebäudes, das für die Entwurfspräsentation genutzt wurde. Bildquelle: RTA Studio.
Das Team arbeitete gern mit dem SketchUp-Modell, um Größe und allgemeines Aussehen des Gebäudes zu zeigen, ohne dass all die Details modelliert werden mussten, die andere Softwareprogramme verlangen. So sparten sie Zeit und konnten gleichzeitig darauf achten, nicht zu früh im Prozess ganz spezifische Vorschläge zu machen, was die Farbgestaltung o. ä. anging, die sie später noch ändern mussten. Als sie dann für die Meilensteine des Projekts wirklich realistische Details zeigen wollten, zum Beispiel Materialien und Schatten, zogen sie Enscape hinzu.
„Wir nutzen Enscape jetzt, um den Verlauf des Tageslichts zu verstehen. Das war bei uns eine ziemlich revolutionäre Entscheidung. SketchUp haben wir schon ewig genutzt, aber mit Enscape als Erweiterung können wir jetzt ganz schnell Renderings erstellen.“
Rich Naish, Design Director bei RTA Studio
Bis vor Kurzem beauftragte RTA Studio einen Drittanbieter mit den Renderings, was nicht nur zeitaufwändig war, sondern auch teuer. Jetzt, da SketchUp und Enscape so gut zusammenarbeiten, werden alle Grafiken intern gemacht.
Optimierter Bauprozess
Sobald der Entwurf in 3D modelliert war, importierten die Holzhersteller die Dateien in eine Software, mit der ihre CNC-Maschinen arbeiten. Sie erstellten ein virtuelles Modell all der Elemente, die sie herstellen sollten, und schickten es, bevor sie das erste Stück Holz schnitten, durch die digitale Verarbeitung. Mit diesem Planungsprozess ließen sich Korrekturen und Materialverschwendung minimieren.
Die Komponenten wurden in der Holzfabrik geschnitten und in mehreren Ladungen je nach Bauabschnitt auf die Baustelle gebracht. Das vereinfachte die Zusammensetzung vor Ort. Die Gebäudeparameter waren in zwei Tagen fertig, die Böden brauchten zwei Wochen und der Rahmen des Obergeschosses noch einmal wenige Tage. So schnell wäre der Bau ohne das Holz und das neue Verbindungssystem niemals abgelaufen – und das Team wurde mit Lob überschüttet.
Zertifizierte Nachhaltigkeit
Ein unabhängiges Unternehmen analysierte das Scion-Gebäude und bestätigte seine Klimaneutralität, die vor allem durch die großen Mengen Holz erreicht wird – ein CO2-negatives Material. Der geringe Anteil anderen Materials wird dadurch ausgeglichen. Hinsichtlich der Energieeffizienz entsprechen die Betriebskosten bei Scion etwa der Hälfte herkömmlicher öffentlicher oder gewerblicher Gebäude.
Analyse der eingebetteten Emissionen (Embodied Carbon). Bildquelle: RTA Studio.
Lob von allen Seiten
Nachdem die Forstwissenschaftler:innen eingezogen waren, bekam das Entwurfsteam viele Rückmeldungen. Alle waren vom ästhetischen Design und der Leistung des Gebäudes begeistert. Im Inneren wird durch eine energiesparende Mixed-Mode-Klimaanlage eine angenehme Temperatur aufrechterhalten. Die vom Entwurfsteam entwickelte Tageslichtstrategie sorgt dafür, dass die Büros hell sind, aber keine Sonne auf den Computerbildschirmen blendet. Doch am häufigsten hört Rich Naish, wie schön es ist, von so viel Holz umgeben zu sein.
„Oft kommen Kinder auf Schulausflügen oder mit ihren Familien. Die sitzen dann dort, wo die Holzbalken eine Gabel bilden. Die Erwachsenen berühren das Holz und halten sich einfach gern im Gebäude auf, wie sie es vielleicht auch auf einer Waldlichtung tun würden. Diese Art kindliches Verhalten sieht man bei Erwachsenen sonst nicht. Das ist großartig.“
Rich Naish, Design Director bei RTA Studio
Da das auffällige Gebäude sich als so beliebt erwiesen hat, bietet Scion nun sogar täglich Führungen an. Auch auf internationaler Ebene gab es nur Lob für das neue Scion Innovation Hub. Auf dem World Architecture Festival wurde es als außergewöhnlichstes Projekt der Welt anerkannt – und das ist nur einer der vielen renommierten Preise.
Eine gut beleuchtete Fassade heißt Besucher:innen des Scion Innovation Hub willkommen. Bildquelle: RTA Studio.
Erkenntnisse für die Zukunft
Um ein solch magisches Gebäude zu entwickeln, bracht man ein Entwurfsteam, das sich seiner ökologischen, kulturellen und sozialen Verantwortung bewusst ist – und einen Kunden, der ebenfalls weiß, wie wichtig diese Aspekte sind. Rich Naish weist darauf hin, dass es nicht darum geht, unbedingt jede mögliche Umweltschutzmaßnahme zu ergreifen. Aber der Kunde muss dahinterstehen, ein nachhaltiges Gebäude zu wollen, das unseren Planeten schützt.
Dafür gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten: das Ausheben minimieren, Abfall reduzieren, die Resilienz des Gebäudes verbessern. Bauplaner:innen und Architekt:innen müssen herausfinden, welche Lösungen für die vorherrschenden Bedingungen geeignet sind. Dem Team von RTA Studio ist es wichtig, stets den Kontext zu berücksichtigen – befinden wir uns in einer Großstadt oder einem kleinen Küstenort? Oder eben am Rande eines Landschaftsschutzgebiets? Laut Rich Naish führen responsive Entwürfe oft zu einzigartigen, ganz unterschiedlichen Gebäuden.
Mit seinem symbolischen Design erweist das Scion-Gebäude dem Wald seine Ehre: Es würdigt die Menschen vor Ort und unterstreicht die Mission des Waldforschungsinstituts. Und auch weitere Vorteile ergaben sich: innovative Holztechnologien, klimaneutrales Design und eine beeindruckende Ästhetik.
Möchten Sie auch helfen, die Klimakrise zu lösen? Das Recherchetool PreDesign bietet regionale Klimainformationen und eignet sich vor allem für die frühen Phasen Ihrer Entwürfe. Es ist Teil des Pro- und Studio-Abonnements. Mit der kostenlosen Testversion können Sie die 3D- und Recherchefunktionen von SketchUp kennenlernen.
Rich Naish, Design Director bei RTA Studio
Über RTA Studio
RTA Studio ist ein innovatives, fortschrittliches Architekturbüro in Auckland und Hawkes Bay und wurde 1999 von Richard Naish gegründet. Es ist für seine originellen und preisgekrönten Entwürfe von Projekten in den Bereichen Bildung, Wirtschaft, Gemeinwesen und Wohnungsbau bekannt. Das Unternehmen hat einen starken Fokus auf Technologie und Forschung und engagiert sich für CO2-arme Architektur. RTA Studio hat bislang über 100 lokale und internationale Preise gewonnen.
Über Irving Smith Architects
Irving Smith Architects ist ein spezialisiertes, forschungsbasiertes Architekturbüro in Whakatū Nelson und arbeitet in verschiedenen empfindlichen Lebensräumen im neuseeländischen Aotearoa und in anderen Ländern. Sie engagieren sich bereits seit Langem für innovatives, nachhaltiges Design und wurden dafür national und international mehrfach ausgezeichnet und anerkannt. Die Architekt:innen bei Irving Smith sind in der Forschung und lehrend an Hochschulen tätig und werden überall auf der Welt zu Vorträgen eingeladen. Hier erfahren Sie mehr über Irving Smith Architects.